DHL und die "grüne" Packstation
Seit neuestem macht Jürgen Vogel Werbung für DHL (Hashtag #VogelCheckt), wobei mir DHL als auch Herr Vogel durchaus sympathisch sind. Hey, ich habe sogar ein paar Aktien von DHL! Und im Vergleich zu anderen Lieferdiensten hat sich DHL zumindest hier immer als sehr zuverlässig gezeigt. Insofern habe ich nichts gegen DHL oder gar Herrn Vogel, aber die aktuelle Werbung erscheint mir doch zumindest überdenkenswert.
Nun liegt Nachhaltigkeit aktuell bekanntlich im Trend, denn alles, was grün und umweltfreundlich ist, ist gut. Vermutlich dachte sich irgend ein DHL-Werbestratege, dass dies doch unbedingt in einem Werbeclip thematisiert werden muss, zum Nachesehen und -hören etwa im DHL YouTube-Kanal.
Dort behauptet Herr Vogel, bezogen auf die Packstationen, “wenn wir die alle nutzen, sparen wir noch mehr CO2”. Das brachte mich ein wenig zum Nachdenken, denn wo genau soll die CO2-Ersparnis sein? Von welchem Szenario geht DHL hier aus?
Ich habe dies mal spasseshalber aufgezeichnet:
Gegeben ist eine Straße mit den Häusern A, B und C, wobei in Haus B drei Parteien wohnen, in A und C nur jeweils eine. Zugegeben, meine Malkünste sind überarbeitungswürdig, allerdings würde ich auch nie behaupten, Künstler zu sein…
Szenario 1 - Lieferung durch DHL
Im ersten Szanario liefert DHL beispielsweise vier Pakete, je eines an Haus A und C sowie zwei an Haus B. Einer der - im Clip angepriesenen 15000 - DHL E-Streetscooter fährt also von der Zustellbasis mit den vier Paketen zu den Adressen der Empfänger, liefert die Pakete aus. Falls mal jemand nicht zu Hause sien sollte, kann das Paket abgelegt oder beispielsweise an einen Nachbarn zugestellt werden.
DHL hat also im sehr vereinfachten Beispiel den Weg von der Zustellbasis in die Straße der Empfänger, und wieder zurück. Natürlich klappert DHL im Verlauf noch weitere Straßen und Häuser ab, ich gehe auch davon aus, dass DHL eine ausgefeilte Software zur Wege-Optimierung nutzt, außerdem kennen sich die örtlichen DHL-Zusteller meist sehr gut in der jeweiligen Gegend aus, so dass sie keine unnötigen Routen fahren werden.
Szenario 2 - Packstation
Im zweiten Szenario liefert DHL die Pakete an die Packstation aus, alle vier Pakete, wohlgemerkt. DHL fährt also von der Zustellbasis zur Packstation, die laut Twitter-Antwort selbstverständlich vor Ort liegt, packt dort die Pakete hinein und fährt wieder zurück. Die Wege der DHL-Zusteller sind damit kürzer, als wenn die Auslieferung an die Haus-Adressen erfolgt.
Und das sei nun nachhaltiger, umweltfreundlicher und spart jede Menge CO2, “wenn wir die (Packstationen) alle nutzen”.
Hmm, mal nachdenken…
Klar, wenn DHL damit die Wege der Zustellfahrzeuge meint - diese werden kürzer. Aber Moment, nun liegen die Pakete in der Packstation, und jetzt? Irgendwie müssen die Bewohner von Häusern A, B und C doch an die Pakete kommen!
Nun löst der Empfang eines Pakets bei mir einen gewissen “haben wollen”-Reflex aus, und ich denke, dass es vielen so geht. Also würde ich mich ins Auto setzen und mal eben zur örtlichen Packstation fahren, um das Paket abzuholen. Wenn das nun den Bewohnerinnen und Bewohner der dargestellten Häusern ähnlich geht, natürlich individuell zu unterschiedlichsten Zeiten, hätten wir also ungefähr vier Wege von den Häusern zur Packstation und wieder zurück. Gut, vielleicht holt eine Bewohnerin in Haus B auch gleich das Paket für ihren Nachbarn ab, falls das rein rechtlich erlaubt und vom Nachbarn so gewünscht ist, dann wären es immer noch drei Wege hin und zurück zur Packstation.
Natürlich gibt es viele Variablen in diesem Szenario, hier nur einige Beispiele:
- Vielleicht besitze ich gar kein tolles E-Auto, sondern muss meine alte Diesel-Klapperkiste starten, um an das Paket zu gelangen. Ziemlich übel für den CO2-Abdruck.
- Vielleicht nutzt jemand auch ein Fahrrad oder geht sogar zu Fuß von und zur Packstation. Den Corona- und Home-Office-geformten Körper freut’s, und damit auch die Umwelt.
- Vielleicht fährt man auf dem Weg zur oder von der Arbeit mal eben bei der Packstation vorbei, je nach Lage der Packstation wird der zusätzliche Weg somit kürzer als wenn man sich extra vom trauten Heim zur Packstation begeben würde.
Und so weiter, und so fort.
Pauschales Greenwashing
Was mich insbesondere an der Werbung stört, ist die Pauschalität der Aussage. Wenn wir alle die Packstation nutzen, sei dies gut für die Umwelt. Dies ist einfach nur falsch und somit letztlich Greenwashing seitens DHL als Argument zur Nutzung der Packstationen. Es wirkt auch irgendwie aufgesetzt, künstlich und nachträglich im Sinne des aktuellen Zeitgeistes ausgedacht. Die Reklamestrategen lassen grüßen.
Ich habe Packstationen seit Jahren genutzt, Pakete beispielsweise auf dem Weg vom Büro nach Hause abgeholt, weil ich tagsüber nicht anwesend war. Packstationen sind eine einfache und bequeme Möglichkeit, nicht zustellbare Pakete zu vermeiden, falls der Empfänger planmäßig nicht zu Hause anzutreffen sein sollte. Und als DHL mit der Aufstellung der Packstationen begonnen hat, wurde diese Nutzung auch genau so beworben, einfaches Zustellen von Paketen, wenn man nicht zu Hause sein sollte. Jederzeit die Lieferung empfangen können, unabhängig von Öffnungszeiten der örtlichen Postfiliale. Packstationen an sich halte ich nach wie vor für eine gute Idee.
Nur die Nutzung pauschal als toll für die Umwelt und nützlich für den CO2-Abdruck zu propagieren ist mit Verlaub schlicht und einfach Unfug. Im sehr optimalen, aber gleichermaßen unwahrscheinlichen Fall mag das so sein - wenn alle, aber auch wirklich alle Empfänger ihr mehr oder weniger schweres Paket mit CO2-neutralen Verkehrsmitteln abholen. Im schlechtesten Fall werden hingegen die Wege vom Empfänger zur Packstation multipliziert, weil jeder einzeln sein Paket mit seinem Benzin- oder Diesel-Fahrzeug abholt.
Die Realität wird wie immer irgendwo dazwischen liegen. Wie gesagt, Packstationen sind für gewisse Nutzungsszenarien eine sehr gute Idee. Aber der Nutzung einer solchen pauschal eine CO2-Ersparnis zu unterstellen, nur um das Thema Nachhaltigkeit in einem Werbeclip aufzugreifen? Hat DHL das wirklich nötig?